#12 Sind beim generischen Maskulinum wirklich alle mitgemeint, Tiziana Jäggi?
Shownotes
Sprache entscheidet, wer sichtbar wird. Deshalb ist inklusive Sprache kein Detail, sondern ein wirksames Werkzeug für mehr Fairness. Dr. Tiziana Jäggi forscht dazu an der Universität Freiburg und zeigt, warum schon kleine Formulierungen unsere Wahrnehmung verändern. Ein Gespräch über Fakten aus der aktuellen Forschung der Psycholinguistik mit Tipps zum Gendern, die sich ganz leicht in den Alltag einbauen lassen – auch in einem Jodelchor.
INSPIRATIONEN «TO-GO» – WOMIT DU SCHON HEUTE STARTEN KANNST
🚀 Fang klein an. Wenn du inklusive Sprache nutzen willst, starte mit einfachen Schritten wie neutralen Formen (Studierende) oder Sichtbarmachungen (Lehrer:innen). Schon wenige bewusste Wörter machen Texte inklusiver – und es wird mit jedem Mal einfacher.
🚀 Hol die Führung mit ins Boot. Sprich an, wie wichtig ein Vorbild von oben ist. Wenn Vorgesetzte inklusiv kommunizieren oder, noch besser, einen Leitfaden einführen, fällt es allen leichter, nachzuziehen.
🚀 Versuch es doch einmal mit einer neutralen Anschreibung, wenn du die Person nicht kennst. Du könntest «Guten Tag Vorname Nachname» verwenden, wenn du dir beim Geschlecht nicht sicher bist. Das ist eine unkomplizierte Möglichkeit, neutral und respektvoll zu formulieren.
🎙️Dr. Tiziana Jäggi ist Postdoc und Psycholinguistin an der Universität Freiburg. Sie hat wissenschaftlich erforscht, wie die Sprache mit unserer Wahrnehmung von Geschlechterstereotypen zusammenhängt. Hier erfährst du mehr über unseren Gast!
🛍️ Tiziana hat ihre Musiknoten aus den beiden Chören, in denen sie singt, in die Folge mitgebracht. Hier könnt ihr einen Blick darauf werfen.
DER FAKTENCHECK:
- Tatsächlich bildet Sprache die Wahrnehmung der Realität nicht einfach nur ab, sondern kreiert sie über den Sprachgebrauch auch immer wieder neu: So beeinflusst Sprache, wie wir die Welt wahrnehmen. Im Zusammenhang mit dem Geschlecht hat eine kürzliche Studie von Pascal Gygax an der Universität Fribourg in einem Experiment nachgewiesen, wie stark das generische Maskulinum unsere Wahrnehmung der Geschlechter beeinflusst. Konkret: Wird im Deutschen für bestimmte Rollen oder Berufe wie z.B. Ingenieur ausschliesslich die männliche Form verwendet, verstärkt dies unsere Vorstellung, dass diese Rollen männlich bzw. für Männer sind. «Generically intended, but specifically interpreted» von Pascal Gygax (Universität Freiburg)
- Eine weitere Studie zeigte, wie man diesen Effekt positiv nutzen kann. Über die Erwähnung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Form lassen sich Stereotype reduzieren. Ein Test mit Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren belegt, dass Jugendliche den Pflegeberuf als weniger stereotypisch weiblich einschätzen, wenn «Krankenpflegerin und Krankenpfleger» steht, als wenn nur der weibliche Begriff «Krankenpflegerin» verwendet wird.
- Ebenfalls einen Einfluss hat die Sprache auf Berufswünsche: So zeigen Mädchen und junge Frauen mehr Interesse an männertypischen Berufen und trauen sich diese auch eher zu, wenn sie die Bezeichnungen auch in der weiblichen Form präsentiert bekommen.
- Auch in Stelleninseraten spielt eine geschlechter-sensitive Sprache eine grosse Rolle. Eine auf echte Nutzerdaten gestützte Studie weist nach, dass Formulierungen wie «Projektleiterin» oder «Kundendienstmitarbeiterin» tatsächlich etwas verändern. Je nach Art der Formulierung gibt es deutliche Unterschiede im Nutzer:innen-Verhalten: Am deutlichsten zeigte sich der Effekt bei Job-Bezeichnungen, die die weibliche Endung -in enthalten. Diese Anzeigen wurden von Nutzerinnen überdurchschnittlich oft angesehen. Effects of gender sensitive language in job listings: A study on real-life user interaction
WEITERE LINKS
Hier geht es zu den drei Umfragen, die im Meinungsspiegel zitiert wurden. Taucht ein und findet weitere spannende Details zu den verschiedenen Stimmen in der Schweiz:
- Meinungsumfrage der SRG, die grosse Differenzen zwischen Männern und Frauen aufdeckt: «Wo junge Frauen anders ticken als junge Männer»
- Meinungsumfrage zum Thema gendergerechte Sprache von 20 Minuten und Tamedia zusammen mit dem Forschungsinstitut LeeWas: «Rechte skandalisieren den Genderstern gezielt»
- Sotomo-Studie «So denkt die Schweiz – Gleichstellung und Sprache»
UNSER HIGHLIGHT – FÜR DICH AUSGEWÄHLT
Auf den ersten Blick wirkt das generische Maskulinum praktisch: Begriffe wie «Politiker», «Ingenieure» oder «Ärzte» sollen angeblich alle einschliessen und Texte einfacher machen. Doch genau hier beginnt der Irrtum. Was neutral wirken soll, entpuppt sich als hartnäckiger Mythos.
Die aktuelle Forschung zeigt klar: Unser Gehirn denkt beim generischen Maskulinum fast immer zuerst an Männer. Frauen erscheinen seltener in unseren inneren Bildern; sie werden weniger mitgedacht und damit weniger sichtbar. Ein kleines sprachliches Detail mit spürbaren Folgen für Wahrnehmung, Chancen und Rollenbilder.
Lust auf mehr? Hier findest du alle Infos, Hintergründe und Bilder zu dieser Folge.
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Wir hören selbst sehr gern den Podcast Rock & Randale, weil er mutig und neugierig fragt, wie ein Leben von Frauen und Männern wirklich auf Augenhöhe gelingen kann. Die Gespräche reichen von Religion über Macht bis zu Pornos – immer nah am Alltag, immer mit frischen Gedanken und cleveren Stimmen. Hört rein! Er gefällt euch bestimmt genauso gut.
DAS ADVANCE-PODCAST-TEAM:
- Host: Alkistis Petropaki
- Leitung Konzeptentwicklung: Lena Schwerzmann
- Produktion: Manuela Walzthöny, Alexandra Rhiner
- Redaktion: Sabrina Durante
- Audioproduktion: Audiokanzlei
Wir sind Advance, eine Non-Profit-Organisation, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter in der Schweizer Geschäftswelt einsetzt. Zusammen mit unseren rund 150 Firmenmitgliedern schaffen wir die nötigen Bedingungen, um stereotypische Rollenbilder zu verändern – damit Frauen eine echte Chance haben, Karriere zu machen, und Männer auch aktiv in ihren Familien mitwirken können. Wir sind überzeugt, dass eine geschlechtergerechte Arbeitswelt eine Win-Win-Situation für alle schafft. Gleichstellung stärkt die Wirtschaft, Gesellschaft und den Wohlstand. – Together, we #advance faster!
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